„La Seine Musicale“,

Hinweise auf den Architekten Shigeru Ban sowie auf die beiden Kunstmäzene Pinault und Arnault.

Am Mittwoch 10. Mai 2017 besuchte ich gemeinsam mit Adalberto in Paris das Ende April, also vor nur wenigen Tagen zur teilweise Besichtigung eröffnete, neue Kulturzentrum.: ,,La Seine Musicale“. Das interessante Gebäude hat mich begeistert.

Bevor ich drüber berichte, eine Klarstellung: ,,La Seine Musicale“ findet sich auf der Seine-Insel ile Seguin in Boulogne-Billancourt am Rande von Paris, süd-westlich des Zentrums. Bitte nicht verwechseln mit „La Cite Musicale -Philharmonie de Paris“!

Letztere liegt genau gegenüber; in Pantin, nord-östlich vom Zentrum, im „Parc de la Villette“. Das Gebäude von Christian Portzamparc wurde 1995 eröffnet. Dazu kam ein sehr ungewöhnlich gestalteter Neubau des Architekten Jean Nouvel, das 2015 eröffnet wurde.

Meine Beschreibung von „La Seine Musicale“ veranlasst mich, auch über den kulturellen Kampf der beiden wichtigsten französischen Kunstsammler zu berichten.

Von der Endstation des Metro No. 9; Pont de Sevres, bringt ein kurzer Spaziergang zu der Brücke mit der man zur Île Seguin und „La Seine Musicale“ gelangt.

Auf dieser Seine-Insel befand sich von 1925-1992 die Automobilfabrik Renault, in der 30’000 Personen arbeitetet. Nach der Verlegung der Fabrik entbrannt ein Streit über die zukünftige Nutzung der Insel. Besonders intensiv beteiligt war der Milliardär, François Pinault. Der Kunstmäzen unterbreitete im Jahre 2’000 der staatlichen Verwaltung das Baugesuch für ein Museum in dem er seine umfangreiche Sammlung moderner Kunst dem Publikum zugänglich zu machen wollte. Der Plan für das sensationelle Museumsgebäude stammte von dem berühmten japanischen Architekt Ando Tadao.

Fünf Jahre lang kämpfte Pinault mit der komplizierten französischen Bürokratie, doch vergebens. Enttäuscht musste er zuletzt sein Vorhaben aufgeben, das eine wesentliche Bereicherung der französischen Kulturszene bedeutet hätte. 2005 kaufte er statt dessen den prächtigen „Palazzo Grassi“ in Venedig. Darin hatte die Automobilfabrik Fiat, als es ihr finanzielle noch gut ging, von der Mailänder Architektin Gae Aulenti ein faszinierendes Kunstmuseum einrichten lassen.

Anders als in seiner Heimat wurde Pinault von den Behörden in Venedig mit offenen Armen empfangen. Man stelle ihm die „Punta della Dogana“ zur Verfügung, das einstige Zollamt an der Spitze des Canal Grande. Pinault liess beide Gebäude von Ando Tadao umbauen und zeigt darin fortan abwechselnd Teile seiner umfangreichen Kunstsammlung.

Francois Pinault, geboren 1936 hatte 1963 die Société Pinault gegründet, die mit BauMaterialien erfolgreich wurde. So konnte er 1992 das grosse Warenhaus Au Printemps erwerben und eine Reihe weiterer Unternehmen, unter anderem die Aktienmehrheit des Versteigerungshauses Christie’s und die Luxusmarke Gucci. In den U.S.A. gehört ihm · Samsonite und das Skizentrum Vail in Colorado. Schon zu Beginn des 21. Jahrtausends besass er rund 3 ‚000 Werke moderner Kunst und baut seine Sammlung ständig weiter aus.

Als Kunstmäzen ist Bernard Arnault der grosse Gegenspieler von Pinault. Arnault, unter anderem Chef des Luxuskonzerns LVMH, gilt als der reichste Mann in Frankreich und zählt zu den 10 reichsten Personen der ganzen Welt. Arnault liess vom amerikanischen Architekt Frank Ghery im Namen der Stiftung „Louis Vuitton“ am Rande des Bois de Boulogne ein Gebäude für Kunstausstellungen errichten. Es wurde 2014 eröffnet und ist das interessanteste Bauwerk das ich je gesehen habe!

Nun kann Pinault es offenbar nicht überwinden, dass anstelle des von ihm auf der Île Seguin geplanten Museums nun der viel reichere Kunstmäzen Arnault im Pariser Bois de Boulogne ein so grossartiges Ausstellungs-Gebäude für aktuelle Kunst errichtet hat. (Laut Forbes besitzt Arnault fünfzig Milliarden Euro, während Pinault „nur“ über zwölf Milliarden Euro verfügt).

Zuletzt ist es Pinault gelungen, im Zentrum von Paris – nur wenigen Schritte vom Louvre und vom Centre Pompidou entfernt – das historische, denkmalgeschützte Gebäude der Börse zu übernehmen. Nach dem entsprechenden Umbau soll hier im Jahre 2018 ein zusätzlicher Kunsttempel eröffnet werden. Einen Namen dafür hat Pinault bisher noch nicht bekannt gegeben. Nach seiner „La Pointe de la Douane“ in Venedig bleibt aber vielleicht auch in Paris der auf die frühere Benützung hinweisende Name erhalten:      ,,La Bourse du Commerce“.

Was der Kunstsammler schon in Venedig begonnen hatte, soll hier weiter verwirklicht werden. Er beschreibt sein generelles Vorhaben:  Un musée ne peut être un lieu ou l‘ on se contente de montrer. C ‚est aussi un espace pour faire avancer les choses à la croisee des arts plastiques, de la musique, du theatre, de la Iitterature et du cinema. Nun, da kann man ja gespannt sein!

Nach dieser Abschweifung komme ich zurück auf „La Seine Musicale“. Damit wurde flussabwärts etwa die Hälfte der Île Seguin überbaut. Die flussaufwärts gelegene Hälfte der Insel ist noch eine grosse Baustelle. Hier sollen weiter kulturelle Einrichtungen entstehen. Unter anderem ein bewohnbares Kunsthotel, in welchem man umgeben von echten Kunstwerken übernachten kann.

Der mir bisher nicht bekannte japanische Architekt, Shigeru Ban, hat das     280 m lange Gebäude für „la Seine Musicale“ geplant. Es wurde am 22. April 2017 teilweise eröffnet.

Erst nachträglich ist mir bewusst geworden, dass ich bereits einen Bau von diesem Architekten bewundert hatte: im Mai 2014 besuchten Adalberto und  ich anlässlich einer von den „Amici dei Musei“ organisierten Reise das „Centre Pompidou-Metz.“ Dieser Ableger des gleichnamigen Museums von Paris ist von Shigeru Ban entworfen und 2010 eröffnet worden.

Der 1957 geborene, japanische Architekt gilt als Pionier, indem seine Bauten oft aus recycletem Papier entstehen. Das zermahlene Papier lässt er mit härtenden Materialen vermischen und zu langen Rohren oder Balken in verschiedene oft gebogene Formen auspressen. Daraus entstehen tragende Strukturen, die mit den verschiedensten Materialien bekleidet werden können.

Mit solchen Struktur-Elementen aus ehemaligem Papier baute er in Japan anfänglich preiswerte Notunterkünfte für Opfer von Vulkanausbrüchen, später in verschiedenen Ländern immer grössere Bauten: Hotels und sogar Brücken oder Kirchen.

Bekannt wurde Shigeru Ban in Europa durch sein Japanisches Pavillon an der EXPO 2000 in Hannover. Dieser bestand aus einem 7 5 m langen, 25 m breiten und 15 m hohen Tunnel. Das stützende Gerüst aus Alt-Papier war mit lichtdurchlässigem Material überzogen. Am Ende der Ausstellung konnte alles kostensparend und in ökologisch vorbildlicher Weise erneut recyclet werden.

Das neue „Centre Pompidou-Metz“ fällt schon von Weitem durch sein weißes zirkuszeltähnliches Dach auf. Wie das Stammhaus in Paris ist es als innovatives, vielseitiges Kunst- und Kulturzentrum konzipiert.

Die monumentale, sechseckige Dachkonstruktion erstreckt sich über den gesamten Innenbereich und entwickelt sich um einen zentralen, 37 m hohen Mast.

Das gänzlich aus Holz bestehende Tragwerk mit einer Gesamtfläche von      8’000 m2 erinnert mit seiner Netzstruktur an das Geflecht eines chinesischen Stoh-Huts. Über der Holzkonstruktion erstreckt sich eine dünne, aber stabile und wasserundurchlässige „Haut“ aus Glasfasern mit einer Teflon-beschichtung. Im Inneren überrascht die Raumfülle der 3 7 Meter hohen, lichtdurchfluteten Halle, mit ihren transparenten Fassaden.

Shigeru Ban hat in Vancouver das „Terrace House“ geplant. Mit seinen 19 Stockwerken ist es das bisher weiltweit höchste aus Holz erbaute Gebäude.      In Taiwan baut er ein Kunstmuseum. Gemäss den Fotografien des Modells scheint dieser Bau zu schweben und ist in verschiedener Höhen mit Innengärten bereichert.

Zurück auf die Île Seguin und „La Seine Musicale“ von Shigeru Ban. An der Spitze der Insel befindet sich das von ihm geplante „Auditorium“, mit dem Orchester in der Mitte, umgeben von 1’100 Plätzen für die Konzertbesucher. Das sehr ungewöhnliche Gebäude besteht aus Glas und ist geformt wie ein riesiges Ei.

Das Geflecht für das Gerüst besteht aus gebogenen Balken. Mit diesen ist die gläserne Ei-Haut eingefasst. Dieses Gebäude wird von einem gewölbten, dreieckigen Segel beschattet, das sich entsprechend dem Sonnenstand um das Ei bewegt. Dieses Segel besteht aus lauter Solarzeller, mit denen der Strom für den ganzen Komplex erzeugt wird.

Über dem Hauptteil von „La Seine Musicale“ liess Shigeru Ban einen Erdhügel aufschütten auf dem man spazieren und auf das freistehenden Auditorium-Ei herab blicken kann. Unter diesem Hügel befinden sich weitere Säle, wobei der grösste 4’000 Zuschauer aufnehmen kann. Hier sollen auch Ballette, Opern und Theater-Aufführungen veranstaltet werden. Es hat auch einige Räume für Kunstausstellungen.

Bei meinem Besuch war die Bepflanzung des Erdhügel-Daches noch in vollem Gang. Hier soll eine Naturwiese entstehen mit lauter einheimischen Pflanzen. Dabei wird laut den schriftlichen Hinweisen besonderer Wert auf Pflanzenarten gelegt, die infolge der landwirtschaftlichen Nutzung vom Aussterben bedroht sind. Bereits wachsen auf der zukünftigen Wiese einige freistehende Bäume. Darauf hängen die verschiedensten Nest-Arten für Vögel, Insekten und Fledermäuse.

Vom Fuss dieses Erdhügels kann man mit einem Lift durch das mehrstöckige Gebäude hinunterfahren, oder auf einer breiten Treppe hinunter gehen, die zum Eingang des Komplexes führt. Hier lässt sich eine riesige Projektionswand entfalten, auf denen Darbietungen projiziert werden, an denen man auch aus grosser Entfernung kostenlos teilnehmen kann.

Zusammengefasst: neben der begeisternden „Fondation Vuitton“ ist „La Seine Musicale“ nun ein weiteres, höchst interessantes, kulturelles Besuchsziel von Paris!