„The Floating Piers“ von Christo

 Bericht über meine Kurzreise mit Adalberto nach Iseo, Donnerstag, 30. Juni -Freitag, 1. Juli 2016.

Die malerische italienische Landschaft, die sich zwischen den Städten Bergamo und Brescia und dem Iseo-See erstreckt nennt sich Franciacorta. Hier wird der Franciacorta DOC, ein „Spumante“ mit den gleichen Rebsorten und nach den traditionellen Methoden hergestellt, wie der französische „Champagne“. Statt der Gärung in Fässern geschieht dies in bereits abgefüllten Flaschen, wobei sich die feinen Perlen bilden.

Zweimal hatte ich bei von mir geleiteten Gartenreisen in Norditalien auch einen Abstecher zum Iseo-See eingeschlossen, um auch die dortigen, besonders sorgfältig gepflegten Weingärten zu zeigen. Die stolzen Besitzer der Weingüter schenken den Gästen jeweils Kostproben ein, in recht grosszügigen Mengen.

Diesmal galt aber die zweitätige Kurzreise nicht dem „Spumante“, sondern dem neuesten Kunstwerk von Christo: „The Floating Piers“, begehbare, total über drei Kilometer lange Stege, die auf dem See von Iseo schwimmen. Auf diesem zu spazieren, erwies sich, trotz der drängenden Menschenmenge, als ein genussvolles Erlebnis.

Lebenslauf von Christo

Nachfolgend Einiges über den Künstler Christo, teilweise aus Wikipedia-Internet-Angaben zusammengestellt:

Christo Wladimir Jawaschew wurde am 13. Juni 1935 in Gabrowo, Bulgarien geboren am 13. Juni 1935.

Am gleichen Tag – also auch am 13. Juni 1935 – wurde seine spätere Gattin, Jeanne-Claude in Casablanca geboren. Damals war Marokko noch ein Protektorat von Frankreich.

Als die Russen 1956 den Prager Aufstand niederschossen, verstand Christo die Signale und floh, versteckt in einem Güterzug, aus Bulgarien nach Frankreich. Staaten- und mittellos schlug er sich in Paris durch, indem er Auftragsporträts von reichen Franzosen machte. Er nannte später seine damalige, anfängliche Tätigkeit als „die Prostitution der Kunst“.

Eine Auftraggeberin für ein Porträt, Mme. Denat de Guillebon, hatte eine attraktive Tochter, die mit feuerroter Mähne, großer Klappe und blitzgescheitem Denken auffiel. Doch diese Jeanne-Claude war schon versprochen. Als sie heiratete, war sie bereits schwanger – aber dummerweise von dem mittellosen Mann aus Bulgarien, der glaubte ein Künstler zu sein, weil er Konservendosen einpackte und bemalte. Der betrogene Ehemann findet nach zwei Wochen Ehe die Türschlösser ausgewechselt. Auf die Frage, was los sei, antwortet Jeanne-Claude: eindeutig – zweideutig: „Dein Schlüssel passt nicht mehr in mein Schlüssel-Loch!“

Christo und Jeanne-Claude begannen zusammen zu arbeiten. 1960 kam ihr Sohn Cyril zur Welt.

1961 realisierten sie – als ihr erstes gemeinsames Gross-Projekt – im Rheinhafen von Köln einen verhüllten Stapel von aufgeschichteten Ölfässern. (Mit wesentlich mehr Ölfässern will Christo das letzte, grösste und wichtigste Werk seiner künstlerischen Laufbahn realisieren. Die Erklärung dazu folgt später).

1964: Christo und Jeanne-Claude lassen sich in New York nieder, wo sie anfänglich noch in sehr ärmlichen Verhältnissen leben. Nach einigen Jahren werden sie amerikanische Staatsbürger.

1968: Christo verhüllt erstmals ein ganzes Gebäude. Es ist die Kunsthalle in Bern. Harald Szeemann – der die Kunsthalle von 1961-1969 leitete – hatte verschiedene Künstler eingeladen, ein Werk zum 50-jährigen Bestehen dieser Institution auszustellen. Die Verhüllung der Kunsthalle war der Beitrag von Christo.

(Als Abschluss seiner Tätigkeit in Bern hat Szeemann 1969 noch die unvergessliche Ausstellung veranstaltet: „When Attitude Becomes Form“, ein Meilenstein der modernen Kunstgeschichte).

Der Objekt- und Verhüllungskünstler Christo hat seine weltweiten Grossprojekte immer in engster Zusammenarbeit mit Jeanne-Claude realisiert. Die aufwändige Herstellung dieser Werke hat weder den Staat, noch die Steuerzahler je etwas gekostet. Alles wurde von dem Paar selber finanziert.

Christo hatte die Ideen für neue Grossprojekte und Jeanne-Claude kümmerte sich um deren Finanzierung. Dies geschah, indem Christo wesentlich mehr Skizzen, Planzeichnungen, Collagen und kleine Modelle anfertigte, als eigentlich zur Ausführung seiner Werke nötig gewesen wären. All diese vielen Entwürfe wurden von ihm signiert und konnten so als bleibende Kunstwerke verkauft werden. Die ausgeführten Grossprojekte blieben dagegen jeweils nur während einer kurzen Zeit erhalten, wonach sie vollständig entfernt wurden.

Als ich das Paar 1969 in New York in ihrer Wohnung im SOHO-Quartier besuchte, blieb Christo weitgehend stumm und wirkte abwesend. Dagegen redete die sympathische Jeanne-Claude wie ein Wasserfall. Mit ihrem leuchtend rot gefärbten Haar wirkt sie sehr auffallend. Sie zeigte mir zahlreiche der signierten Entwürfe. Zu einem Kauf konnte ich mich aber nicht entschliessen, obwohl mir viele davon gefielen. Alle kosteten schon mehr als vierstellige Dollarbeträge, was ich mir bei dem damaligen Wechselkurs von 4.30 Schweizer Franken für einen Dollar zu meinem grössten Bedauern nicht leisten konnte. Heute müssen dafür sechsstellige Dollarpreise gezahlt werden.

Chronologische Aufzählung einiger der wichtigsten Werke von Christo:

1976: „Running Fence“ in Kalifornien: ein 39.5 km langer und 5.5 m hoher Zaun. Auf 2050 Stahlpfählen und 145 km Stahlkabel wurden 160’000 Quadratmeter Nylongewebe gehängt. Der Zaun führte vom Norden San Franciscos bis zur Bodega-Bucht am Pazifik. Christo engagierte im Kampf gegen die Bürokratie neun Anwälte, bis er den Zaun endlich aufstellen durfte. Trotzdem musste er zuletzt eine Busse von $ 60’000.- bezahlen, weil eine einzige Genehmigung gefehlt hatte.

1983: „Surrounded Islands“ – elf Inseln in Florida/USA werden mit etwas mehr als 600’000 Quadratmeter pinkfarbenem Stoffgewebe umsäumt. Das Kunstwerk wurde mit Hilfe von rund 500 Personen fertiggestellt und war zwei Wochen lang zu sehen.

1985: Verhüllung vom Pont Neuf, der ältesten Brücke von Paris. Dafür wurden 40’000 Quadratmeter sandfarbenes Polyamid-Gewebe verwendet.

1995: Verhüllter Reichstag in Berlin. Jeanne-Claude und Christo kämpften während 22 Jahren, um endlich das Projekt realisieren zu können. Sie gingen von Büro zu Büro und schrieben an 662 Abgeordnete Briefe mit Erläuterungen. Prominenteste Gegner waren Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble. Die Verhüllung erfolgte in nur acht Tagen. Bei der Montage beteiligten sich 90 professionelle Kletterer und viele weitere Helfer. Die fertige Verhüllung dauerte vom 24. Juni – 7. Juli. Während dieser zwei Wochen kamen fünf Millionen Besucher um das spektakuläre Kunstwerk anzusehen.

1998: Verhüllte Bäume im Park der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel. Vom 13. November bis 14. Dezember blieben 178 Bäume mit 55’000 Quadratmetern silber-grau schimmerndem Gewebe und 23 km Seil verhüllt. Für jeden einzelnen Baum ist ein Schnittmuster verwendet worden, entsprechend der individuellen Baumform.

2005: „The Gates“ – im Central Park von New York führte vom 12. – 27. Februar ein 37 km langer Weg unter 7’500 fünf Meter hohen Toren hindurch. Das Ganze war mit mehr als 200’000 Quadratmetern orangefarbigem Material überdeckt. Zur Vermeidung von Souvenir-Vandalismus verteilten rund 600 bezahlte Helfer 7 x 7 cm messende Stücke des gleichen Stoffes. Wie immer hat das Künstlerpaar die gesamten Kosten des Projekts (21 Millionen U.S. $) selber finanziert.

2009: Jeanne-Claude stirbt im Alter von 74 Jahren.

2013: Big Air Package – ein 90 Meter hohes Luftpaket im Gasometer Oberhausen. Dies war das erste Projekt, das Christo ohne Mitarbeit seiner Frau realisierte. Die Skulptur im Innern der höchsten Ausstellungshalle Europas wurde aus 20’350 Quadratmetern lichtdurchlässigem Material und 4’500 Metern Seil hergestellt. Im aufgeblasenen Zustand hatte die fünf Tonnen schwere Skulptur eine Höhe von 90 und einen Durchmesser von 50 Metern. Das Volumen umfasste 177’000 Kubikmeter Luft. Das Innere der Skulptur war begehbar und erzeugte ein einzigartiges Erlebnis von Raum, Grösse und Licht.

2016: „The Floating Piers“: Drei auf dem italienischen Iseo-See schwimmende Stege konnten während zwei Wochen, vom 18. Juni bis zum 3. Juli begangen werden. Auf 220’000 zusammengefügten, luftgefüllten Schwimmkörpern wurde erst eine weiche Filzschicht ausgebreitet und das Ganze zuletzt mit 70’000 Quadratmetern eines leuchtend orange-farbigen Nylon-Gewebes überdeckt, das sich an der Sonne zu intensivem Gelb verfärbte.

Aus dem See von Iseo erhebt sich die Montisola (zu Deutsch „Berginsel“), mit 600 m.ü.M. die von allen europäischen Seen Europas am höchsten aufsteigende Insel. Sie ist autofrei und wird von 1770 Personen bewohnt.

Von Sulzano, der zur Insel am nächsten gelegenen Ortschaft, wurde Montisola mit einem 16 m breiten, schwimmenden Steg für Fussgänger zugänglich gemacht. Der Uferweg der Insel wurde auf einer Länge von 1,5 km mit dem gleichen, orange-gelben Gewebe bedeckt. Von diesem Weg führten zwei schwimmende Stege mit einer gesamten Länge von 3 km zur kleinen Isola San Paolo, die damit umkreist wurde. (Diese Insel befindet sich im Privatbesitz der superreichen Familie Beretta, den – leider – erfolgreichen Herstellern von luxuriösen Schusswaffen).

Die “Floating Piers“ wurden im Verlaufe eines Jahres angefertigt und ausgelegt. Wie schon bei allen anderen Gross-Projekten war damit ein enormer technischer, sowie bürokratischer und logistischer Aufwand verbunden. Das schlechte Wetter hat die Fertigstellung zuletzt stark behindert.

Christo hat persönlich – bei strömendem Regen – das Heer der von ihm Beschäftigen überwacht. Das Kunstwerk konnte trotz aller Hindernisse pünktlich an dem zum voraus festgesetzten Datum eröffnet und begangen werden. Glücklicherweise herrschte während der Dauer von 16 Tagen des Kunstwerks fast immer bestes Sommerwetter.

Der einzige Fehler bei der Planung war die mit „nur“ einer halben Million vorgesehene Besucherzahl. Es kam aber die dreifache Menge. Insbesondere am ersten und am letzten Wochenende entstanden auf den Zufahrtstrassen stundenlange Stauungen. Die Restaurants und Hotels in weiter Umgebung waren überfüllt und auf den Stegen herrschte stellenweise ein grosses Gedränge.

Obwohl Jeanne-Claude nicht mehr lebt, können auch die „Floating Piers“ als Werk des Paares betrachtet werden. Die Beiden hatten gemeinsam das Kunstwerk geplant. Sie besuchten zusammen die Seen von Norditalien, um den am besten geeigneten Standort zu finden: die Seen von Orta, Varese, den Lago Maggiore, ferner die Seen von Lugano, Como, Iseo und Garda. Franciacorta, die liebliche Landschaft südlich von Iseo und die steilen, den gleichnamigen See umgebenden Berge, gaben den Ausschlag.

Die Kosten des Kunstwerks beliefen sich auf 15’000’000 €, sind also eher niedriger als andere Werke von Christo und wurden wie gewohnt von ihm aus eigener Tasche finanziert.

Zukünftige Projekte:

„Over the River“: Überdeckung des Arkansas River in Colorado/U.S.A. mit silbrig glänzendem Gewebe. An dem betroffenen Flussabschnitt zwischen Canon City und Salida hat es viele Brücken, Felsen und Bäume, so dass von den insgesamt 60 km „nur“ 11 km überspannt werden müssen. Die Stoffbahnen werden mehrere Meter über der Wasserfläche angebracht, sodass weiterhin Schiffe passieren können. Das Kunstwerk soll im August während zwei Woche zu sehen sein.

Das Projekt befindet sich seit 1992 in Vorbereitung. Nach langen und komplizierten Verhandlungen erteilte das amerikanische Innenministerium im November 2011 die Baubewilligung. Die Gegner des Projekts (Natur- und Tierschutzvereine usw.) erhoben jedoch Einspruch. Dabei wurde nicht Christo selbst, sondern die U.S.-Regierung wegen der erteilten, als unzumutbar empfundenen Genehmigung verklagt. Nun muss das Genehmigungs-Verfahren vom Obersten Gerichtshof des U.S.A. überprüft werden. Anschliessend könnte das Kunstwerk mit grosser Wahrscheinlichkeit endlich realisiert werden.

„Mastaba“ nennt sich das bei weitem grösste Projekt von Christo, das sich schon seit 1977 in Vorbereitung befindet. Der Begriff Mastaba bezieht sich auf eine geometrische Form, die vor 6’000 Jahren in mesopotamischen Siedlungen erbauten Häusern entspricht. Sie gleicht einer Pyramide, ohne der oberen Hälfte.

410’000 speziell für das Projekt hergestellte, in zehn verschiedenen Farben bemalte, leere Ölfässer sollen in der Wüste bei Abu Dhabi in Form einer Mastaba aufgeschichtet werden. Die vier Seiten werden 300 bzw. 220 m lang sein und die Mastaba wird sich 150 m über dem Wüstenboden erheben. Sie wird also grösser sein als die Pyramiden. Es soll sogar die grösste Skulptur der Welt werden.

Seit 1977 besuchten Jeanne-Claude und Christo mehrmals die Arabischen Emirate und führten zahllose Verhandlungen mit den massgebenden Persönlichkeiten. Der Emir von Abu Dhabi schenkte ihnen zuletzt vier Quadratkilometer Wüste, die zu diesem Projekt gehören werden.

Mit diesem Werk wird sich die künstlerische Karriere des Paares schliessen. Sie hatte auch mit einem Stapel von Ölfässern begonnen.

Die Mastaba ist als erstes Grossprojekt von Jeanne-Claude und Christo nicht zeitlich begrenzt sondern es soll erhalten bleiben. Die enormen Herstellungs-Kosten – einer halben Milliarde U.S. $ – wird Christo erstmals nicht selber finanzieren.

Was mir besonders imponiert

Mich beeindruckt nicht nur die Grösse der Christo-Kunstwerke, sondern vor allem deren faszinierende Absurdität.

Am meisten aber bewundere ich jedoch das Zusammenspiel und die Vielzahl verschiedenartigster Fähigkeiten des Künstlerpaares.

– das diplomatische Geschick und die zähe Verhandlungs-Taktik, um staatlichen Besitz zeitweilig in Beschlag nehmen zu dürfen,

– die Perfektion der Planung und die stets rechtzeitige Fertigstellung ihrer Werke,

– die sehr gekonnte, kostendeckende Vermarktung,

– die in vielen Medien publizierten Artikel als meisterhafte Public Relations, womit jeweils Millionen von Besuchern angelockt werden,

und nicht zuletzt: die perfekte Beseitigung jeglicher Spuren der Kunstwerke, verbunden mit dem ökologisch sinnvollen Recycling der verwendeten Materialien.

Persönliche Erinnerungen an die Reise nach Iseo

Nach all diesen verschiedenen Hinweisen auf die Christo-Kunstwerke, will ich doch noch berichten, wie Adalberto und ich die kurze Reise erlebt haben. Sie wurde von der „atte“ veranstaltet (associazione ticinese terza età). Schon mehrmals hatten wir an den für alte Leute zu recht günstigen Bedingungen angebotenen Reisen teilgenommen. Auch haben wir bereits für den kommenden Oktober bei der „atte“ einen Kuraufenthalt von zwei Wochen in Montegrotto Terme (unweit von Padua) gebucht.

Für die Reise nach Iseo konnten wir kurzfristig gerade noch die beiden letzten der 50 Plätze bekommen.

Am Donnerstag, den 30. Juni, hiess es früh aufstehen. Wir mussten nämlich schon um 07.30 in Lugano an der Bus-Haltestelle sein. Ich hatte ein Paar leichter Sommerschuhe angezogen. Adalberto meinte aber, es sei besser ein anderes Paar zu benützen, falls es regnen sollte. Deshalb wählte ich ein altes Paar Winterschuhe.

Im Parkplatz unweit der Bus-Haltestelle, hatte ich bei Aussteigen aus unserem Auto ein komisches Gefühl am Fuss. Auf dem kurzen Weg zum Treffpunkt fühlte ich das Gleiche auch am anderen Fuss. Erschrocken musste ich feststellen, dass sich bei beiden Schuhen die mürben Nähte der alten Sohlen an den Innenseiten aufgelöst hatten. Verwundert lachend begrüssten mich bereits wartende Teilnehmerinnen, als ich mit meinen seitlich auf und ab klappenden Fuss-Flügeln auf sie zukam.

In Iseo angekommen lief ich in Socken umher, bis ich einen Laden fand, wo ich Sandalen kaufen konnte.

Nach dem Hotelbezug gab es ein (recht mieses) Mittagessen in einem Restaurant. Dann mussten wir eine halbe Stunde in praller Sonne Schlange stehen, bis wir das Schiff besteigen konnten. Zum Glück sind Prioritätskarten für unsere Reisegruppe vorbestellt worden. In der andern Warteschlange – für Personen ohne solche Karten – war die Wartezeit wesentlich länger.

Erst nachdem alle Sitzplätze mit Inhabern von Prioritätskarten besetzt waren, durften auch Personen ohne Vortrittsrecht zusteigen – bis das Schiff fast zum Bersten voll war. Die Fahrt von der Stadt Iseo zur Insel Montisola dauerte aber nur eine halbe Stunde.

Auf dem Uferweg der Insel gab es mehrmals ein solches Gedränge, dass wir im Stau kaum weitergehen konnten. Dieser Fussweg war mit dem gleichen, orange-gelben Material bedeckt, wie die auf dem Wasser schwimmenden Stege.

Wir durchwanderten die zum Kunstwerk gehörende Strecke von einem Ende zum anderen. Der Weg war von schönen grossen Olivenbäumen gesäumt. An mehreren Stellen stand eine Reihe transportabler Toiletten.

Ständig lärmten Helikopter über uns. Auf Plakaten wurden die Flüge zu € 50 angeboten, mit dem Hinweis, dass bei der kurzen Flugdauer das Kunstwerk in seiner gesamten Ausdehnung fotografiert werden könnte.

Im See zirkulierten Boote mit Sanitätspersonal und mehrmals hörten wir vom Ufer das Signal von Ambulanzen – offenbar bewirkte die herrschende Hitze gesundheitliche Probleme bei nicht wenigen Besuchern.

Wir unterliessen das Begehen der beiden Stege, die zur privaten Insel führte, denn Adalberto war müde und hatte Knieschmerzen. Wir begnügten uns, auf dem schwimmenden Steg von der Insel zur Ortschaft Sulzano am Ufer des Festlandes zu spazieren. Wie vom Künstler empfohlen, unternahmen wir den Spaziergang barfuss. So waren die Bewegungen des Wassers eindrücklich zu fühlen.

Vom Festland-Ufer bis zur Bushaltestelle war die ganze Ortschaft von einer drängenden Menschenmenge verstopft. Es verging eine volle Stunde bis wir einen der zwischen Sulzano und Iseo in dichter Folg pendelnden Busse besteigen konnten. In Iseo genossen wir das Abendessen in einem schönen Restaurant direkt am Seeufer und gingen in dem von „atte“ für uns reservierten Hotel früh schlafen.

Den Freitag erlebten wir als grösstmöglichen Gegensatz zum Vortag. Nur die beiden Wiesen, die wir bei der Ausfahrt aus Iseo sahen, erinnerten noch an Christo. Sie waren eingezäunt, um als temporäre Parkplätze zu dienen und schon am Morgen zur Hälfte besetzt.

Eine nette, lokale Führerin begleitete uns zum Kloster San Pietro in Lamosa. Dieses Kloster wurde im XI Jahrhundert. auf den Mauern eines römischen Tempels errichtet. Gegenüber dem Hauptgebäude steht eine barocke Kapelle, innen geschmückt mit prächtigen Fresken aus dem XV und XVI Jahrhundert. Zwischen den beiden, etwas erhöht liegenden Bauten öffnet sich ein weiter Blick über die liebliche Landschaft von Franciacorta. Im Vordergrund sieht man einen grossen Teich.

Wie an vielen anderen Stellen dieser Gegend wurde hier noch bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts Torf ausgegraben. Dieser wurde getrocknet und diente als Brennmaterial, das allerdings wenig ergiebig war. Die maximal 5 m tiefen Gruben füllten sich mit Wasser. Seerosen breiteten sich aus und an den flachen Randzonen dieser romantischen Teiche blüht Lotus im Spätsommer.

Diese Teiche bieten Lebensraum für viele Tierarten und stehen heute unter Naturschutz. Zahllose Zugvögel aus dem Norden überwintern hier.

Wir fuhren vorbei an vielen, ausnahmslos perfekt gepflegten Weinfeldern, bis wir zur „Cantina al Rocol“ gelangen. Zwei noch junge Brüder und eine Schwester hatten vor nicht langer Zeit das traditionelle Weingut geerbt. Sie erweiterten es zu einer “Agricola“. So nennt man in Italien die in Mode gekommenen, bäuerlichen Betriebe, in denen Speisen serviert werden, die weitgehend auf Produkten basieren, welche die Besitzer selber herstellen. Meist bietet eine „Agricola“ auch die angenehme Möglichkeit, in einer ländlich ruhigen Gegend zu übernachten.

Einer der drei freundlichen Besitzer der „Cantina al Rocol“ begleitete uns auf einem Rundgang und erklärte ausführlich die Herstellung des Franciacorta D.O.C. Das ist ein geschützter Name für Wein aus Franciacorta. Er wird nach einer genau vorgeschriebenen Methode erzeugt.

Verwendet werden die gleichen Weinsorten, wie für den französischen Champagner: Chardonnay und Pinot. Auch die Herstellungs-Methode ist gleich. Nur der Preis des Franciacorta ist geringer – wobei Frankreich fast die hundertfache Menge Schaumwein produziert, verglichen mit dem aus Franciacorta.

Die Trauben werden in Franciacortra ausschliesslich von Hand verlesen. Der ausgepresste Saft (Cuvée) wird während mindestens drei Jahren in Fässern gelagert. Dann erfolgt die Abfüllung in Flaschen (Tirage) wobei man dem Wein etwas Hefe und Zuckersirup zusetzt. In den mit einer Metall-Kappe versiegelten, horizontal gelagerten Flaschen erfolgt eine zweite Gärung. Dabei entsteht Kohlensäure (Schaumbildung) und der Druck in den dickwandigen Flaschen steigt auf bis zu 5 Atmosphären.

Am Ende des Prozesses werden die sich abgesetzten Heferesten durch Rütteln (Remuage) jeder einzelnen Flasche in die Nähe des Korkens befördert. Dabei werden die Flaschen aus der horizontalen Lage allmählich – mit dem Hals nach unten – in eine vertikale Lage gebracht. Zuletzt werden die Flaschenhälse in eine Kühllösung getaucht. Es entsteht ein Eispfropfen, worin die Heferesten eingefroren sind.

Nun wird der Metallverschluss sorgfältig entfernt. Der Druck im Innern der Flasche ist so gross, dass der gefrorene Hefe-Satz heftig herausschiesst. Der Gefrierprozess wird jedoch so gehandhabt, dass dabei die kleinste Menge Wein verloren geht. Jetzt kann der Franciacorta D.O.C. endgültig mit dem von einem Drahtgestell geschützten Korken versehen werden.

Wir bekommen zum Probieren verschiedene Sorten der eigenen Weine vorgesetzt (diskret begleitet von einer kleinen Preisliste). Das uns servierte, wohlschmeckende Mittagessen ist so üppig, dass allein die Vorspeisen ausgereicht hätten.

Um 18. Uhr endete in Lugano die kurze, aber vielseitige und sehr interessante Reise.