Im Mai 1969 unternahm ich mit Bruno im eigenen Auto eine Reise durch ganz Italien. Dabei machte ich Notizen in einen Block. Sowohl vom Anfang als auch vom Ende dieser Reise sind die entsprechenden Seiten verloren gegangen. Doch allein was erhalten geblieben ist, scheint mir recht interessant zu sein:
Samstag, 21. / Sonntag 22. Mai 1969, Stromboli: Am Samstag frühe Tagwacht. Abfahrt um 05.45. Spiegelglattes Meer. Panarea eine schöne Insel wie Lipari, nur kleiner. Vorbei an den kleinen Felseninseln Basiluzzo, bei der seltsam geformte Inselchen aus dem Meer ragen. Eine hat die Form des Mailänder Doms. Alle sind unbewohnt und spärlich oder gar nicht bewachse,
Um 10 Uhr kommen wir in Stromboli an. Leider verhängen einzelne Wolken die Sicht auf den Berg. Das Schiff geht unweit der Insel im Meer vor Anker. Man wird in einem überfüllten Ruderboot zum schwarzen Lava-Strand gebracht. Unangenehme Gedanken, diese Landung bei bewegtem Meer machen zu müssen.
Wir gehen nur ein paar Schritte über den Strand und quartieren uns ein im Albergo „La Sirenetta“: Camera No. 1, mit grosser Terrasse direkt aufs Meer. Sehr einfach, sehr nett. Doch die Insel macht einen beängstigenden Eindruck. Nur noch 300 Einwohner. Früher, den vielen Häusern nach zu schliessen, müssen es ein paar Tausend gewesen sein. Einige Häuser sehr schön, weiss – jedes Jahr neu bemalt – auf den schwarzen Lavaklippen. Fast alle haben aber schon wieder die schwarzen, teilweise rostroten Steinwände, sind halb zerfallen, unbewohnt. Solche Häuser hat es oft in traumhafter Lage.
Baden am schwarzen Strand, der aber seltsamerweise gar nicht schmutzig ist. Immer weder bestaunen wir unser sauberen, weissen Füsse auf dem kohleähnlichen Strand.
Um vier Uhr Abmarsch unter der Führung des bekannten Salvatore. Ein Hamburger kommt mit, sodass wir uns zu dritt in den Führungspreis von 10 000 lire teilen, Ca. 3 Stunden Aufstieg bis auf 900 m. Leider wegen Wolken keine Sicht. Oben warten wir lange Zeit, teilweise in einer primitiven Schutzhütte, in der man nur liegen kann.
Zuletzt haben wir doch Glück und können einige schöne Explosionen (unregelmässig stattfindende Ausbrüche) erleben. Grandioses Naturfeuerwerk Abwechselnd aus drei verschiedenen Krater-Schlünden aufsteigend. Steine (Lapilli) fliegen 100 – 200 m hoch in die Luft. Donnerartiges Geräusch welches plötzlich verstummt – nicht aushallt wie ein Donner.
Die meisten Steine fallen in die Krater zurück. Einige rollen die „Sciara“ hinunter. Diese steile Schutthalde fällt direkt ins Meer. Nur selten kommt Lava ( sagt Salvatore ), aber fast ununterbrochen Dampf, rot gespenstisch beleuchtet.
Abstieg mit Taschenlampen direkt die steile „Sciara Vecchia“ hinunter (35 °) knöcheltief durch Asche watend. Salvatore macht auf jeden Stein, oder unter der Asche verborgene Lavaplatten (Rutschgefahr) aufmerksam. Dann im Vegetations-Gebiet angelangt durch Schilfdickicht – ,,Achtung Augen, Achtung Stock“. Salvatore beherrscht 5 Sprachen.
Hier waren früher lauter Hänge mit Malvasia-Weinreben. Nachdem in diesem Jahrhundert die Tätigkeit des Vulkans wieder sehr lebhaft wurde, haben fast alle Bewohner die Insel verlassen. Auswanderung nach Australien. Salvatore erzählt wie fliegende Lipilli sogar im Dorf Leute getötet hatten. Die Schilf-Dickichte werden auch alle paar Jahre durch glühende Lipilli in Brand gesetzt
Am Sonntag Bad auf völlig menschenleeren Strand mit sehr malerisch geformten Lavaklippen und schwarzem Sand. Keine Muscheln aber viele Fische, die ich mit meiner in Lipari gekauften sehr guten Unterwasser-Brille beobachten kann. Das Wasser ist allerdings zu kühl für allzu lange Bäder.
Abend begleite ich mit dem Hamburger und seiner Frau sowie einem weiteren Deutschen aus dem Hotel den Salvatore beim Tintenfisch-Fang. Er fischt unter der „Sciare del fuoco“, zieht einen Tintenfisch nach dem anderen ins Boot aus ca. 20 m Tiefe.
Die schlüpfrigen Fische machen ärgerlich tönende, laute Zischgeräusche, wenn sie ins Boot geschleudert werden. Es ist das Wasser, welches sie in hohem Bogen ausspritzen. So bewegen sie sich offenbar auch im Wasser fort – wie ein Düsentriebwerk stelle ich mir vor
Es ist so spannend, der im Petrol-Licht vor sich gehend Fischerei zuzusehen, dass ich kaum Zeit finde, die Ausbrüche des Vulkans zu beobachten.
Es ist eine herrliche, sternklare Nacht. Dünner sichelförmiger Mond, dessen ganze Scheibe schwach sichtbar ist. Man kann ständig die rot beleuchteten Dampfwolken sehen. Es qualmt wie aus einer Dampflokomotive, ununterbrochen.
Montag 23. Mai, Stromboli – Milazzo – Tindari: Angenehme Schiffsfahrt nach Milazzo bei spiegelglatte Meer, Wärme und Sonne von 10 – 17 Uhr. Viel Zeit geht verloren mit interessanten Zwischenlandungen auf Panarea, Salina und Lipari. Dabei halten wir an verschiedenen Orten dieser Inseln.
Eine ältere, trotz Ganzkorsett dick deutsche Dame, die uns schon auf Lipari durch ihr gebieterisches Auftreten aufgefallen ist, winkt mich befehlend zu sich heran. Sie will schwätzen. Ich frage – weil sie so viel zu wissen scheint – ob sie sich hier gut auskenne. ,,Niemand – hören Sie – kennt Itaaaalien so gut wie ICH ! “
Es stellt sich heraus, dass sie eine Schriftstellerin ist, aus München, doch in Rom · lebend. Den Namen will sie mir nicht sagen, nur ihre Buchtitel. 1935 sei ihr Sizilienbuch herausgekommen, das seither 10 Neuauflagen erlebte. Im Herbst dieses Jahres soll erscheinen: ,,Ungehobener Schatz Kalabrien“. Sie ist auf diesen Inseln Gast des Präsidenten. ,,Der ganze Mann ist nur seine Dreissig – aber Kultuuuur, sage Ihnen“.
Doch es gefällt ihr nicht hier. Besonders Stromboli „Scheusslich“. Auch klagt sie sehr über die „foschia“, welche uns tatsächlich um die Fernsicht bringt. Man sieht nie alle Inseln, nur höchstens diejenige, die man gerade verlassen hat, oder die nächste im Kurs.
Von Milazzo Auto-Fahrt bis Tindari. Seltsames Gefühl wieder auf „festem Land“ zu sein und im Auto zu fahren. Tindari liegt sehr malerisch auf einem steil direkt ins Meer abfallenden Felsen, leider durch unfertigen Monsterbau einer Kirche verunziert. Tindari ist Wallfahrtsort einer schwarzen Madonna. Die Kirche ist aus Beton, aber einer romanischen Basilka „nachempfunden“. Abscheulich.
Es hat nur ein Hotel mit hübschem vernachlässigten Garten und ein Dutzend Häuser. Weiter auf dem schmalen Kamm liegen die Ausgrabungen der griechischen Stadt „Tyndaris“, die späteste griechische Kolonie in Sizilien. Sehr schöne eingezäunte Anlage, geschmackvoll mit Agaven und einigen Blumen verziert, aber nicht zu sehr. Zu sehen ist eine Basilika und vor allem ein Theater, halbrund in den Hang eingebettet mit herrlichem Bick über einige Pinien und Zypressen bis aufs Meer.
Dienstag, 24. Mai Tindari – Enna: Nach einer Fahrt entlang der Küste, bei St. Agata Abzweigung. Die Küstenstrasse ist relativ eng und ist stark befahren. Die Landschaft schön. Immer wieder Blicke auf malerische Buchten mit teilweise breiten Sandstränden. Aber die schöne Landschaft ist beeinträchtigt durch die hässlichen Häuser, die sich einzeilig, meist zweistöckig, der Strasse entlang ziehen.
Bruno glaubt, es müsse ein Steuergesetz bestehen, welches verputzte Häuser anders klassiert als unverputzte. Tatsächlich sieht man nur selten eine verputzte Villa aus dem letzten Jahrhundert, sonst nur Wände aus Backsteinen und Natursteinen gemischt, meist mit Beton-Balkönchen, die teilweise italienisch modernistische Eisengeländer haben. Diese sind dann grellfarbig bemalt.
Nach der Abzweigung ist die Strasse sofort menschenleer. Dabei ist sie nicht viel schmäler als die Hauptstrasse an der Küste. In vielen Wendungen geht es auf einen Grat hinauf durch die Nebrodi. Dies ist die mittlere der drei Berggruppen an der Nordküste. (Madonie, Nebrodi, Mont Peloritani).
Ein malerisch gelegenes Städtchen auf einer Felskuppe, San Fratello. Wir wissen noch nicht, dass alle Städtchen in diesen Bergen wie auf einem Bergrücken zusammengetriebene Hühner aussehen. Herrlich der Gegensatz der dicht ineinander verschachtelten Dächer und der grünen Umgebung. Nur ab und zu kleine, alleinstehende Bauernhäuschen, meist in herrlichen Lagen.
Die Bauern wohnen hier lieber in Städten. Früher war das wohl wichtig zur Verteidigung – heute eine Gewohnheit. Die Umsiedlungsversuche aufs Land sollen häufig gescheitert sein. Wir sehen Gruppen fast leer stehende neuer Häuser, offenbar vom Staat gebaut.
Nach dem Pass liegt der teilweise verschneite Aetna majestätisch vor uns. Herrlich de Städte Cesario und Troina, die beiden höchstgelegenen Städte Siziliens ( etwas über 1’000 m). Besonders interessant ist Nicosia. Kathedrale aus dem 14. Jh. und auf Felsspritz gelegene, andere Kirche. Sehr schöne Renaissance Häuser.
Wie überall erweckt unser „Triumph Spitfire“ grosses Interesse. Knaben und Jünglinge (aber nie Mädchen) umringen uns, wenn wir anhalten. Bruno macht den nicht sehr appetitlich aber zutreffenden Vergleich „Come gli mosche su un stronzo“.
Während ich „sightseeing“ mache, lässt Brune einen dieser Jünglinge ans Steuer ( einer von uns muss ja immer in der offenen Maschine bleiben). Dieser fährt laut hupend eine Runde durchs Städtchen, damit ihn alle sehen. Ich komme gerade dazu wie er mit hochrotem Kopf und schweissbedeckt zum Auto aussteigt. So ein Glück muss das für ihn gewesen sein.
Im nahegelegenen Sperlinga sieht man, dass die Häuser meist nur Fassaden sind, vor eigentlichen Berghöhlen. Sperlinge liegt besonders malerisch.
Von Leonforte Blick auf Enna, das nahe zu liegen scheint auf einem hohen Bergrücken. Infolge Strassensperrungen sind es aber mehr als 50 km bis dahin.
Enna ist laut Cicero „der Nabel Siziliens“. Umfassender Blick nach allen Richtungen. Mächtige Kirchen. Sehr lebhaft, Menschen, hupende Autos, ein riesiges Kastell aus der Normannenzeit am höchsten Punkt. Die Stadt ist langgezogen, dem Bergrücken entsprechend. Man kann immer wieder weit ins Land sehen.
Nachts fantastisch die Lichtergruppen der auf anderen Bergkuppen zusammengescharten Städtchen, je weiter entfernt, so schwächer sichtbar.
Wir sind glücklich über das neue „Grande Albergo Siclia“. Jedes Zimmer mit Bad, kein Geruch im Klo. Wir können uns richtig waschen und fühlen uns herrlich.
Mittwoch, 25. Mai, Enna – Agrigento: Schön Fahrt von Enna bis Piazza Armerina. Grosse Aufforstungen, meist Eucalyptus, geben der Landschaft wohl den Reiz zurück, den sie vor der Entwaldung durch die Menschen besass. Hier scheint ein Wald schon fast wie ein Wunder.
In Piazza Armerina schöner, grosser Barockdom mit seltsam angeklebtem alten Glockenturm. Auf dem Domplatz auch grosser Palast, heute offenbar das Gymnasium. Unser Auto ist anscheinend interessanter als der Lehrstoff.
In 6 km Entfernung wurde eine römische Kaiservilla ausgegraben. Sie liegt in einer Mulde versteckt und diente als Jagd- oder Sommerhaus. Hier wurde die schönsten und grössten (ca. 3000 m2) Fussboden-Mosaiken gefunden. Alles sehr gut geschützt durch Dächer aus durchsichtigem Hartplastik. Sehr eindrucksvoll ist die Gesamtanlage, der schöne Innenhof mit Granitsäulen, die beiden grossen Latrinen (Gemeinschaftsklos mit Marmordeckeln und darunter fliessende Kloake). Daneben Bassin, sozusagen Gross-Bidet.
Fantastisch die Bäderanlagen mit verschiedenen Räumen: einer mit kaltem Wasser, der nächste zum Einölen, dann ein Raum unter dem heisse Luft durchgeführt wurde. Man sieht die Konstruktion sehr gut: der Boden ist auf ca. 80 cm hohen Backstein-Säulchen, damit die warme Luft darunter zirkulieren kann.
In Gela fahren wir zuerst an grossen, neuen Raffinerie-Anlagen am Meer vorbei. Es wurde hier Petroleum gefunden, vor wenigen Jahren. Durch die langgezogene Stadt, ohne zu halten weil wir hungrig sind. Am anderen Ende der Stadt essen wir in einem kleinen Autostello und gehen dann am dahinter liegenden Strand baden.
Es ist ein endloser, breiter Sandstrand mit hellem, gold-beigem, feinen Sand. Wir legen uns auf die 10 – 15 m hohe Düne die auf der Nordseite zur Fixierung bepflanzt ist. Es sind Büsche, die an Oleander und Eucalyptus erinnern. Schöne Ginsterart mit silbrigen Blättern. Wir geniessen es sehr. Das Wasser ist hier auf der Südküste merklich wärmer. Auch die letzten, recht warmen Tage haben wohl dazu beigetragen.
Nach dem Baden Besichtigung der griechischen Mauern, die ebenfalls unmittelbar beim Autostella sind. 300 m der Mauern sind ausgegraben. Es handelt sich um eine griechische Befestigung aus dem IV Jh. v. Ch. Der Sand vom Meer hat die Mauer immer wieder zugeschüttet, sodass höher gebaut wurde. Die Mauer ist auf Felsen abgestützt. Man sieht aber den Mauerfuss nicht. Sie ist aus Steinblöcken aus drei verschiedenen Brüchen aufgebaut.
Darüber wurde die Mauer durch Backsteine weiter erhöht. Diese halten jedoch dem Wind und Sand nicht stand und sind jetzt durch dicke Glasscheiben geschützt. Die Steinquader der Mauer liegen dagegen frei und sind sehr beeindruckend in ihrer unglaublichen Regelmässigkeit. Von der Seite gesehen wird durch die Fugen eine völlig gerade Fluchtlinie gebildet. Die Blöcke sind ohne Märtel aneinandergefügt, jedoch mit interessantem System von Bolze fixiert. Die Mauer ist 5 m dick. Durch den Sand wurde sie so gut erhalten
Wir amüsieren uns sehr über ein altes Männchen das aus einer halb zerfallenen Hütte auf uns zu-humpelt. Mit grossen rhetorischen Gesten in schwer verständlichem, sizilianisch gefärbtem Italienisch erklärt er, wie er hier auf seinem Land im Jahre 1948 die Mauer entdeckt und gemeldet hätte. Er erzählt auch von seinen Besuchern (König Gustav von Schweden etc.). Zeigt mit Spazierstock wie Griechen kämpften und ein Tor verteidigten. Er zeigt uns auch eine Talmulde, wo sich mit grösster Wahrscheinlichkeit ein nicht ausgegrabenes, aber in der Topographie gut erkennbares, griechisches Theater befindet.
Wir fahren durch grosse Felder mit Weizen etc. In einigen Feldern kleine, hübsche, neue Bauernhäuser, vom Staat gebaut, aber nicht benutzt. Seltsamer Eindruck.
Bei der Einfahrt nach Agrigento werden wir von den Tempeln auf einem Hügelkamm begrüsst. Starker Eindruck von Agrigento, das offenbar in den letzten 3 – 5 Jahren erst angefangen hat, sich ungeheuer auszudehnen. Grosse Hochhäuser rücksichtslos eines dicht dem anderen vor die Nase gesetzt. Drum herum nichts. Die Strassen kaum befahrbar, keine Trottoirs. Es ist direkt gefährlich, zu Fuss zu gehen. Man sieht direkt aus dem Felsen gegrabene Hausteile unmittelbar bei den Hochhäusern. Wie diese in 10 Jahren aussehen werden kann man sich vorstellen.
Erstaunlich ist dieser Kontrast, nach dem im Innern des Landes eher passiv wirkenden Sizilien. Arm – wie ich erwartete – wirkt es eigentlich nirgends. Diese Zeiten sind wohl glücklicherweise für Sizilien im Grossen Ganzen vorbei. Es gibt auch eigentlich keine Bettler (Ausnahme eine alte Frau auf einer Kirchentreppe).
Donnerstag, 26. Mai: Agrigento – Erice (Trapani): Den Vormittag verbringen wir mit der Besichtigung der Tempel. Das Auto lassen wir im Hotel della Valle. Es ist ein ziemlich langer Marsch, der sich bemerkbar macht, weil es immer heisser wird, gegen Mittag fast zu viel
Zunächst Besichtigung des sehr gut eingerichteten Museums. Es ist noch nicht ganz fertig. Die Vitrinen sind meist wie Erker nach aussen gebaut. Drei Seiten mit Kupfer verkleidet – ergibt von aussen eine interessante Fassade. Von der milchigen Plastik-Abdeckung wird das Licht diffus auf die ausgestellten Gegenstände verteilt: meist Vasen mit schöner Bemalung.
Neben dem Museum wird eine alte Kirche restauriert. Die modernen Gebäude verschmelzen erstaunlich harmonisch mit alten, teilweise einbezogenen Mauerstücken. Schön sind auch grosse, moderne Schmiedearbeiten für die Abschlussgitter. Direkt beim Museum auch kleines, antikes Theater.
Von den Tempeln ist sehr eindrücklich – wegen der schönen Lage – der „Tempio die Dioscuri“. (Tempel des Castor und Pollux). Vier Säulen wurden aufgerichtet.
Wir amüsieren uns über einen jungen Mann, der einen Tobsuchtsanfall „darstellt“. Es geht ca. 20 Minuten – zuerst glaubte ich von Weitem es handle sich um eine Theateraufführung. Zuletzt kann er einfach nicht mehr vor Erschöpfung. Ein junger Mann hat ihn beim Vornamen genannt, obwohl er studiert hat und ,,ragioniere“ ist – das ist alles!
Im riesigen Zeus-Tempel – dies ist der grösste griechische Tempel überhaupt – wurde eine der Kolossal-Statuen, liegend wieder zusammengesetzt (fast 8 m). Diese Statuen dienten als Atlanten zwischen den Säule. Der Tempel ist nie fertiggestellt worden. Er sollte die Macht und den Reichtum der Stadt verkörpern.
Der Tempel des Hades ist der älteste – aus dem 6. Jh. v.Ch. Ein Engländer liess vor 40 Jahren 7 der Säulen wieder aufrichten.
Der Tempel der Concordia sei neben dem Theseion in Athen der besterhaltene aller griechischen Tempel. Er hatte lange Zeit als christliche Kirche gedient: Die Cella-Wände sind mit Bogenöffnungen versehen worden. Seit 1748 (!) in alter Form wieder hergestellt.
Alle 34 Säulen stehen. Trotzdem finde ich diesen Tempel enttäuschend. Die Säulen stehen so dicht zusammen. Ist es vielleicht so, dass man Ruinen als romantischer empfindet. Oder vielleicht weil perfekte Nachbildungen dorischer Tempel oft zu sehen sind und immer einen abstossenden Eindruck machen. So schliesst man von einer charakterlosen Kopie gar zurück auf das Original.
Schön gelegen – etwas erhöht – ist der Tempel der Juno Lacini, von den einstigen 34 Säulen stehen 25. Es ist die gleiche Aufteilung wie beim etwas jüngeren ConcordiaTempel: je 6 Säulen an den Schmalseiten.
Nach dem Essen fahren wir ab, zunächst durch Landschaften mit grossen Feldern, die etwas kahl wirken, dann kommen intensiv bebaute Gegenden, mehr Grün, Weinbau. Gelegentlich Bäume der Strasse entlang. Sehr schöne Fahrt.
Unterwegs Besichtigung der Tempel von Selinunte. Tempel G. riesengross, aber ein wirr durcheinander geworfener Trümmerhaufen. Einsturz wahrscheinlich bei Erdbeben. Sehr malerisch diese riesigen Kapitäle usw. Daneben noch zwei weitere Tempel E. und F. – einer mit wieder aufgerichteten Säulen. In ca. 800 m Entfernung die Akropolis, grosse Anlage auf welcher Ausgrabungen im Gange sind.
Hübsch der Fernblick auf den Tempel A in der Akropolis. Von dort wiederum schöne Blicke auf die drei erstgenannten Tempel und das Meer. Die Akropolis ist wohl für Altertumsforscher sehr interessant, aber nicht für einen Laien wie mich.
Schöne Fahrt bei Abendsonne durch fruchtbare Gebiete (Marsala – Weingebiet) in welchen auch schon einzelne Häuser neueren Datums vereinzelt im Grünen zu sehen sind, fast „wie bei uns“.
In Trapani, wo ich schon einmal eine Stunde gewesen bin (Zwischenlandung Palermo – Tunis), Abbiegung. 15 km hinauf auf Monte Erice. Einquartierung im Jolly Hotel.
Freitag, 27. Mai Erice: Wir nehmen es gemütlich. Spät aufstehen. Fahrt nach Trapani hinunter. Oben auf Erice, 750 m.ü.M. ist es neblig und kalt. Der Wind rauscht im Pinienhain. Kühe weiden auf der Wiese vor dem Hotel und läuten mit ihren Glocken. Man fühlt sich in die Schweiz versetzt.
Unten in Trapani scheint die Sonne und es ist heiss. Wir besichtigen die Altstadt, die sich auf einer schmalen Landzunge befindet, die weit ins Meer stösst, aber sich nur ganz flach aus dem Meer emporhebt. Faszinieren für mich (für Bruno ekelhaft) ist der Fischmarkt. Es hat hier auch einige „pesce spada“ bei denen allein der Kopf mit dem Schwert ca. 1.50m gross ist. Das Fleisch ist fest und schmeckt wie Kalbfleisch – ich habe es ein paar Mal gegessen. Dieser Fisch wird sehr geschätzt und ist relativ teuer, 1600 lire per Kilo. Am billigten sind grausliche, grosse Polypen, 300 lire per Kilo, aber dieser Preis scheint ein Liquidationspreis zu sein – es war fast ein Uhr und der Markt ging zu Ende.
Bruno kann seine „Sammlung“ durch ein Prachtstück erweitern, ein Arzt: Dr. Malato. Bisherige – über die er immer wieder lachen muss – alle auf Schildern während der Reise gelesen: Pasticceria Errore, Dr. Aiuto und das Prunkstück: Farmacia Culo.
Mittagessen in einem Fischrestaurant. Am Nachmittag Spaziergang durch Erice, die Stadt auf dem Berg. Im Sommer offenbar lebhafter Touristenbetrieb. Herrliche Aussicht, kühle Luft und ein prächtiges, mittelalterliches Städtchen. Jetzt alles leer. Der Berg ist nebelverhängt die ganze Zeit. Nur gelegentlich öffnet sich der Blick für kurze Momente hinunter nach dem hell von der Sonne beschienenen Trapani, dem Meer, oder auf die Ägadischen Inseln (Isole Egadi). Der Wind pfeift und es ist kalt.
Die Häuser sind aus grauem Stein, unverputzt. Die Dächer aus fast grauen „Coppi“ – vor Alter farblos. Alles ist unglaublich sauber, still. Wir finden „unitalienisch“.
Die sauberen Gassen und einig grosse Plätze sind alle sehr schön gepflastert, wie Parkett in reichen Häusern. Die grossen Steine sind behauener Granit, durch Alter ganz glatt geschliffen. Dazwischen Kopfpflaster. In einigen Gassen sind die behauenen Steine in lange , parallelen Streifen in der Richtung der Gasse gelegt.
Sehr gespenstisch – völlig surrealistisch sogar – ist die Stimmung im Stadtgarten. Der Wind pfeift in den teilweise sehr schönen Bäumen, Pinien usw. – viele Eisenbänke, aber alle leer. Bronze-Büsten, sehr naturalistisch, Ende des letzten Jahrhunderts auf Säulen in Bosketten. Am Ende des Stadtgartens ein graues Kastell ( aus dem gleiche Stein wie die Häuser) der Turm mit Zinnen, tritt aus den vorbei fegenden Wolken hervor und verschwindet dann wieder – wie ein Film aus …… Schottland, bevor irgend eine Untat passiert!
Samstag, 28. Mai, Erice: Heute ist wohl der interessanteste Tag der Reise. Ich habe an einer „Matanza“ teilgenommen. Obwohl heute Brunos Geburtstag ist, liess ich ihn alleine im Hotel zurück. Er wollte auf keinen Fall zu diesem „Fischding“ mitkommen.
Ich brach früh auf und musste die erste Hälfte der Strecke den Berg hinunter sehr sorgfältig und langsam fahren. Erstens hatte ich zum ersten Mal während der ganzen Reise das Steuer in der Hand. Zweitens war es sehr neblig. Ich kam aber noch rechtzeitig nach Trapani für den 0715 „Aliscafo“.
Die Fahrt zur Insel Favignano war ziemlich bewegt. Es war für mich die erste Fahrt in einem Flügelboot und ich bin erstaunt, dass es so harte Stösse gibt. Ich wollte mich zu einem anderen Platz begeben, um auf der anderen Seite herauszuschauen. Es war unmöglich! In Favignana sagte der Stewart des Aliscafo, es gebe garantiert keine Matanza, das Meer sei zu unruhig.
Am Quai wurde ich schon erwartet – ich fragte einen Mann nach der „tonara“ – er gab zur Antwort die Gegenfrage, ob ich gestern mit der Direktion telefoniert habe – er hätte den Auftrag mich mitzunehmen. Zunächst muss ich mich noch bei einem Büroangestellten am Hafen ein Formular unterschreiben, ich würde auf jeglichen Schadenersatz bei Verletzungen usw. verzichten. Das machte mir schon einen vielversprechenden Eindruck.
Ich wurde gefragt, ob ich erst zur eigentlichen Matanza hinfahren wolle. Die Vorbereitungen würden ca. 2 Stunden in Anspruch nehmen. Aber natürlich wollte ich auch bei den Vorbereitungen dabei sein. Diese waren tatsächlich fast noch interessanter, wenn auch nicht so spektakulär.
Der Kutter fuhr also „futfutfutfut“ hinaus zur „camera di morte“ (Todes-Kammer), andere Boote an langen Seilen hinter sich herziehend. Alle Boote wiesen nicht die übliche grelle Bemalung aµf, sondern waren aus Holz und einheitlich schwarz. Nur die Schlepper aus Metall sind bemalt. Bis die schwarzen Boote angeseilt waren wurden sie zum Hafen hinausgerudert. Zehn lange Ruder auf jeder Seite fünf, jedes von einem Mann bedient. So stelle ich mir Galeerensträflinge vor.
Das Netz besteht aus zwei Teilen, je über 100 m lang, im Winkel geöffnet. An der engsten Stelle befindet sich die „Todes-Kammer“ Es sind anscheinend mehrere ( drei) Kammern. Sie lassen sich mit Türen verschliessen. Während der Matanza bleiben die Türen der vorderen Kammern offen, um allfällig eintreffende Thunfische hereinzulassen. Der Fischfang untersteht einem alten Mann, dem „Rais“ vor dem alle mit grossem Respekt sprechen.
Die Barken formieren sich zu einem Rechteck. Davon werden zunächst drei Seiten gebildet. Eine Schmalseite mit einem der beiden ganz grossen schwarzen Booten, dann im rechten Winkel je drei mittlere und zuletzt noch einige kleinere. Diese sind aber mit dem Schliessen der Türen beschäftigt.
An den Booten in dem noch offen bleibenden Rechteck wird das Netz hochgezogen und innen am Bord befestigt. Dann begeben sich die meisten Männer auf das zweite grosse Boot, das eigentliche Fangschiff. Es wird in einiger Entfernung in paralleler Position zum ersten gebracht Dann beginnen die Männer das Netz zu der Todes-Kammer zu heben. Sie stehen dicht nebeneinander auf der Seite des Bootsrandes. Dort ist eine Art Känel in welchem sie das Netz verstauen.
Sie singen dabei – und das ist das alleraufregendste an dem ganzen Fang! Zuerst ein langsames Lied. Einer singt allein, jeweils einen anderen kurzen Satz. Alle geben darauf zweimal eine schwermütig tönende Antwort, so etwas wie „talanwa lanawawa“ ( da capo ). Der Rais – mit zwei Hilfen – ist in einem kleinen Boot. Er dirigiert mit sparsamen Handbewegungen das Hochziehen des Netzes.
Ein Pfelfslgnal, plötzlich ändert der Bewegungsrhythmus und auch der Gesang des Männer-Balletts. Es ist wirklich eines. Das Boot ist von mir aus direkt in der Sonne. Die schwarzen Silhouetten bewegen sich über einer Fläche glitzernder Wellen. Man sieht geblendet von dem vielen Licht nur die Umrisse, es wirkt eigentlich wie die Tentakel eines riesigen schwarzen Polyps, die sich wiegend bewegen.
Der Gesang nimmt eine dritte Form an, er ist nun wild! Das Boot ist durch das Netzeinholen immer näher gekommen. Das Rechteck ist geschlossen. Wie durch den wilden Gesang gerufen durchschneiden spitze Flossen plötzlich die sonnenglänzende Oberfläche des Wassers. Die Fische!
Der Gesang wird durch Schreie, Befehle, Zurufe unterbrochen und verebbt. Er ist überflüssig: Denn nun beginnt das Wasser zu schäumen. Das Netz lässt immer weniger Spielraum. Das Rechteck wird zum Quadrat, dann zu einem kleineren Rechteckt in umgekehrter Richtung.
Mitten in dem Rechteckt, in dem das Wasser zu kochen scheint, das Bötchen mit dem Rais. Er hat einen Sturm-Mantel angezogen. Viele Meter hohe Gischt sprüht über ihn. Auf sein Zeichen beginnen die Männer Haken an langen Stangen in die Fische zu schlagen und je 6 oder 8 Mann ziehen gemeinsam den Fisch auf den Rand des Bootes. Dann bücken sich die Männer blitzschnell und lassen das Biest zwischen sich – über sich – ins Boot gleiten. Dort schlagen die als dumm angesehenen Thunfische mit dem Schwanz pflatsch pflatsch bis sie schön parallel liegen und krepieren dann ruhig. Nur manche schlagen noch lange Zeit, was ein lautes Geräusch verursacht.
Mit einem solchen Schwanzschlag würde ein Mann sofort getötet. Die Geschicklichkeit der Männer ist aber bewundernswert. Einen nach dem anderen ziehen sie die Fische herein, 150 kg, 250 kg, 350 kg und noch mehr. Die Kleinsten sind schätzungsweise l.5Om, die grössten 3.50m – 4 m gross.
Ich beobachte dass die Fische immer am gleichen Ort über de Bootsrand hereingezogen werden. Die beiden Männer links und rechts, an denen die Fische vorbeigleiten, habe nur kurze Haken. Sie sind bald völlig blutverklebt. Auch das schäumende Wasser im Viereck ist bald blutgefärbt.
76 Fische wurden gefangen, kein besonders grosser Fang. Ein solcher kann bis zu 300 Fische umfassen.
Die Männer arbeiten 3 Monate (100 Tage für die „Tonare Florio“. Es hat zwei Fabriken eine auf der Insel Favignano, die andere auf der winzigen, nahe gelegenen Insel Formica, wo es sonst nichts anderes hat. Es werden jedes Jahr vor den beiden Inseln je ein Netz ausgelegt. Die Männer erhalten pro Tag 2000 – 2200 lire, ob Matanza oder nicht – aber nur während der drei Monate in welchen die Fangzeit ist. (Laichzeit des Thuns). Ausserdem erhalten sie pro Kopf eine Fangprämie von 14 lire pro Fisch. Diesmal ergab der Fang für jeden Beteiligten einen Bonus für rund 1000 lire.
Die Arbeiten nach der Matanza verlaufen wieder in selbstverständlicher Ordnung, wie ein langsames Ballett auf dem Wasser. Vom heutigen Fang werden 60 vorbestellte Fische zum Frischkonsum in Palermo usw. gleich mit Kränen am Schwanz hochgezogen in andere Boote verbracht.
Ich besichtige noch die Fabrik, wo mir alles sehr liebenswürdig gezeigt und bereitwillig erklärt wird. Die Anlage scheint sehr alt zu sein. Auch scheint mir die Fangmethode seit Jahrhunderten kam Änderungen erfahren zu haben.
Am Eingang zur Fabrik Gedenktafeln an Jahre mit besonders guten Fängen. Einmal über 6000, einmal gar über 10000. Die Sache hat Tradition. Normalerweise werden 3-5000 fische pro Jahr erbeutet.
Die Fabrik ist zwar alt, aber sehr sauber. Interessanterweise riecht es kaum. Jedenfalls nicht nach Fisch. Zu meinem Erstaunen wird aber im Moment nur von Japanern im Ozean gefangener Thun (tiefgekühlt) zu Dosen verarbeitet. Es ist eine andere Thun-Art – kleiner, die von den Japanern auch auf andere Weise gefangen wird.
Ich mache noch ein Bad im kristallklaren, kobaltblauen Meer und fahre mit dem Flügelboot nach Trapani zurück. Gleichzeitig verlässt der langsamere, aber wesentlich billigere Dampfer Favignana mit gleichem Ziel. Interessanterweise hat der Dampfer nur 3 Passagiere und das Flügelboot etwa 50 – 60, lauter Einheimische.
Hiermit endeten die noch erhalten gebliebenen, handschriftlich gemachten Notizen. Sowohl der Anfang wie auch der Schluss des entsprechenden Schreib-Blocks sind leider verloren gegangen und somit mit meinem schlechten Gedächtnis auch jegliche Möglichkeit, mich an die Hinreise ab Tessin und die Rückreise von Sizilien in die Schweiz noch irgendwie erinnern zu können. War es die ganze Strecke im Auto auf den damals noch wenig befahrenen aber schlechten Strassen oder war es per Fährschiff? – ich weiss es nicht mehr.